“Patient*innen haben im wahrsten Sinne des Wortes die Nase voll.”

Wieso ist bei CRSwNP auch der Geruchssinn betroffen? Welche Einschränkungen und welchen Leidensdruck müssen Patient*innen verkraften? Was tun, wenn nichts hilft? Darüber haben wir für den ersten Teil unserer Experten-Serie mit Prof. Dr. Boris Haxel, Klinikdirektor der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie des Schwarzwald-Baar Klinikums in Villingen-Schwenningen, gesprochen.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die häufigsten Symptome bei CRSwNP?

Das ist zum einen die Nasenatmungsbehinderung. Die Patient*innen haben wirklich im wahrsten Sinne des Wortes die Nase voll: Sie kriegen keine Luft durch die Nase. Gerade bei vorhandenen Nasenpolypen kommt es dazu, dass die Patient*innen nicht mehr richtig durch die Nase atmen können.

Ein weiterer, wichtiger Punkt ist die Beeinträchtigung des Riechvermögens. Das kann teilweise schleichend passieren. Weil diese Erkrankung nicht von jetzt auf gleich auftritt, merken die Betroffenen meist erst im Laufe der Zeit, dass das Riechvermögen gar nicht mehr so gut ist.

Teilweise haben die Patient*innen auch Probleme mit dem Schmecken. Das hängt alles zusammen, da die Moleküle bei der Nahrungsaufnahme oder beim Trinken auch von hinten in den Nasenrachen hochsteigen, wo wir über die Riechschleimhaut dann die verschiedenen Aromen wahrnehmen.

Apropos Arbeit: Welche Einschränkungen erleben Betroffene durch Geruchsverlust in Ihrem Berufsleben?

Typische Beispiele für die berufliche Ebene sind zum Beispiel Köch*innen oder Bäcker*innen, die dementsprechend Schwierigkeiten bei der Zubereitung von Speisen haben. Aber auch andere Berufe sind betroffen. Wie z. B. die Elektriker*innen, die keine verschmorten Kabel mehr riechen können. Oder jene, die in sensiblen Bereichen wie der Gasversorgung tätig sind.

Welche Möglichkeit haben Patient*innen, wenn das Gefühl entsteht, dass nichts hilft? Gibt es neue Behandlungsmöglichkeiten?

Es gibt nun auch die Möglichkeit, dass Patient*innen mit sogenannten Biologika – also spezifischen Antikörpern – behandelt werden können. Das war ein Riesenschritt für die HNO-Ärzte, aber auch für die Patient*innen, die teilweise auch schon mehrere Operationen durchgemacht haben. Wir haben jetzt also Medikamente zur Verfügung, mit dem wir die schwer betroffenen Patient*innen eben nicht dauernd operieren müssen.

 

Illustration von vier Patient*innen unterschiedlichen Alters, Geschlechts und Herkunft, bei denen eine chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen vorliegt.

Wie können Sie Patient*innen helfen, mit der Erkrankung und allen Implikationen umzugehen?

Die erste Maßnahme ist, den Patient*innen ein Kortison-Nasenspray zu geben, das die lokale Entzündungsreaktion unterdrückt. Weil das Kortison nicht ins Blut aufgenommen wird, sind hier auch nicht so viele Nebenwirkungen zu erwarten. Insofern ist das die Basistherapie.

Teilweise kriegen die Patient*innen zusätzlich auch eine sogenannte Kortison-Stoßtherapie, bei der über einen definierten Zeitraum eine bestimmte Menge an Kortison eingenommen wird. Das hat zwar einen durchgreifenden, aber auch nur kurzfristigen Effekt. Nach einigen Wochen kann es daher dazu kommen, dass die Nasenpolypen wieder zurück sind. Zudem hat Kortison bei regelmäßiger Einnahme leider viele Nebenwirkungen. Deshalb ist das keine Therapie, die wir den Patient*innen längerfristig geben sollten.

Dann kann man natürlich noch operieren. Dabei werden nicht nur die Nasenpolypen entfernt, sondern auch die erkrankte Schleimhaut und die Zugänge zu den Nasennebenhöhlen erweitert. Damit die Polypen nach einer OP aber nicht sofort wieder nachwachsen, ist es wichtig, regelmäßig und langfristig Kortison-Nasenspray einzunehmen. Auch noch, wenn man denkt, dass es einem wieder gut geht.

Prof. Haxel, wie häufig ist denn eine chronische Rhinosinusitis in Deutschland?

Laut epidemiologischen Studien sind ca. 10 bis 15 % der Bevölkerung von einer chronischen Rhinosinusitis (CRS) betroffen. Wenn wir jetzt von der speziellen Form reden, der chronischen Rhinosinusitis mit Ausbildung von Nasenpolypen (CRSwNP), ist dies etwas seltener.

Der Anteil liegt bei etwa 2 bis 4 % in der Bevölkerung. Es ist also unser tägliches Geschäft, dass wir Patient*innen mit chronischer Rhinosinusitis und dem besonderen Subtyp mit der Polypenausbildung bei uns in Behandlung haben.

 

Bleiben wir einmal beim Thema des eingeschränkten Riechvermögens: Wie hängt dieses mit CRSwNP zusammen?

Es gibt sicherlich zwei Faktoren, die eine Rolle spielen. Zum einen gelangt keine Luft mehr an die Riechschleimhaut. Die sitzt etwas höher in der Nase und wenn die Polypen die Nase auf beiden Seiten dicht machen, kommt einfach nicht mehr so viel Luft mit Aromen an.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass wir eine chronische Entzündungsreaktion haben. Leider ist es nicht so, dass das Riechvermögen z.B. nach einer Operation auch sofort wieder da ist. Die länger bestehende Entzündungsreaktion in der Schleimhaut kann nämlich auch die Riechschleimhaut dauerhaft schädigen.

Die Riechrezeptorzellen – also die Nervenzellen, bei denen das Riechen beginnt – erfahren durch die Entzündungsreaktion einen Wirkverlust bzw. sterben ab und können ihre Arbeit nicht mehr machen.

 

 

Wie äußern sich denn diese Einschränkungen im privaten Umfeld?

Oftmals gehen die Betroffenen nicht mehr ins Restaurant, weil alles nach Pappe schmeckt. Und dieser soziale Aspekt fehlt dann natürlich. Zudem haben wir durch den Verlust des Riechvermögens auch einen fehlenden Warnfaktor. Falls zuhause das Bügeleisen angelassen wurde oder etwas anbrennt, kriegen das die Betroffenen gar nicht mit.

Aber auch im zwischenmenschlichen Bereich gibt es Probleme, da das Riechvermögen auch bei der Partnerwahl eine große Rolle spielt. Den Geruch nehmen wir im Alltag als wichtigen Aspekt der sozialen Interaktion wahr. Wenn das fehlt, kann das auch Auswirkungen haben, die dann schlussendlich auch in einer Depression der Betroffenen enden können.

 

Gerüche sind also essenziell für unsere alltäglichen sozialen Kontakte. Gibt es auch einen Zusammenhang zwischen unserem Riechvermögen und Erinnerungen?

In der Tat! Es gibt eine enge Verknüpfung zwischen Emotionen und dem Riechvermögen. Das ist Ihnen sicher auch schon so gegangen, dass Sie einen bestimmten Geruch wahrgenommen und sich dann gleich in die Kindheit zurückversetzt gefühlt haben.

Man weiß unter Umständen gar nicht so genau, wonach es riecht, aber man verknüpft diesen Geruch ganz klar mit einer Emotion. Dementsprechend gibt es ganz enge Wechselwirkungen zwischen Gerüchen und Erinnerungen, denen wir uns eigentlich erst bewusst werden, wenn uns das Riechvermögen fehlt.

 

Vielen Dank, Prof. Haxel, für das interessante Interview! Was möchten Sie als Schlusswort noch loswerden?

Es ist wichtig nochmal zu sagen, dass Patient*innen eine CRSwNP auch wirklich als chronische Erkrankung wahrnehmen. Das heißt, dass auch die Therapie eine langfristige Behandlung sein wird. Aber: Wir haben jetzt auch neue Möglichkeiten – gerade in Hinblick auf das Riechvermögen – noch mal etwas erreichen zu können. Auch bei Patient*innen, die schon seit vielen Jahren nicht mehr riechen können und auch schon mehrfach voroperiert sind, haben wir nun durchaus noch eine Möglichkeit auch hier die Lebensqualität in dieser Richtung nochmal zu verbessern. Insofern sollte sich da jeder trauen, nochmal den HNO-Arzt oder die HNO-Ärztin aufzusuchen.

 

MAT-DE-2000635-5.0-08/2023